Roland Scheck

Besitzstandswahrung

Der Winterthurer SVP Kantonsrat René Isler machte kürzlich eine treffende Bemerkung, die für Aufsehen sorgte. «Winterthur ist auf dem besten Wege, das Griechenland des Kantons Zürich zu werden». Die rote Stadt Winterthur steht faktisch vor dem Bankrott, was sie zwingt, ein einschneidendes Sanierungsprogramm «effort 14+» zu schnüren. Eine Massnahme sieht vor, die Anzahl der Stadträte per 2018 von 7 auf 5 zu reduzieren. Das Projekt «5 statt 7» soll dazu beitragen, die Finanzen mit strukturellen Massnahmen nachhaltig zu sanieren.

Auch die rote Stadt Zürich steht vor dem Bankrott. Die Aufgaben- und Finanzplanung der laufenden Rechnung weist für die Jahre 2014 bis 2016 jeweils erkleckliche Defizite zwischen 350 und 490 Millionen Franken aus. Der Stadtrat hat deshalb ein Projekt mit dem Namen «17/0» gestartet, das zum Ziel hat, das Leistungsangebot der Departemente kritisch zu hinterfragen. Im Gegensatz zum Sanierungsprogramm des roten Winterthurs soll beim zahnloseren Sanierungsprogramm des roten Zürichs jedoch die Anzahl der Departemente unangetastet bleiben.

Der Stadtrat lehnt auch einen Vorstoss der SVP, welcher eine Reduktion der Anzahl Stadträte von 9 auf 7 verlangt, mit aller Vehemenz ab. In dieser Massnahme vermag der rot-grüne Stadtrat nicht das geringste Synergie- beziehungsweise Sparpotential zu erkennen. Interessant sind aber die Begründungen. In seiner Antwort führt der Stadtrat als primäres Argument an, dass er im Falle einer Reduktion der Anzahl Stadträte weniger persönliche Kontakte wahrnehmen könnte. Im Klartext sind damit wohl Apéros und Kulturveranstaltungen gemeint.

Die Eidgenossenschaft lässt sich mit 7 Bundesräten regieren. Der Kanton Zürich lässt sich mit 7 Regierungsräten regieren. Der Kanton Aargau lässt sich mit 5 Regierungsräten regieren. Die 26 Kantone haben insgesamt 164 kantonale Departemente, was einen Durchschnitt von 6.3 Departementen pro Kanton ergibt.

Bei Bund und Kantonen funktionieren also schlanke Regierungsformen. Weshalb nun eine Stadt wie Zürich durch 9 Stadträte mit 9 Departementen regiert werden muss, ist vor diesem Hintergrund alles andere als plausibel. Sieben Rote und zwei kaschierte Bürgerliche, die sich mit ihrer Beisitzerrolle arrangiert haben, wollen kein Jota von der 9-er Konstellation abweichen. Das ist Besitzstandswahrung. Auch die eigene Klientel profitiert davon. Dass aber ein Verwaltungsapparat, der um einen Faktor 1.7 schneller als die Wohnbevölkerung wächst, auf Dauer unmöglich finanzierbar ist, interessiert den Stadtrat nicht.

Insofern ist auch die Stadt Zürich auf dem besten Wege, das Griechenland des Kantons zu werden. Im Unterscheid zu den roten Zürchern haben die roten Winterthurer aber wenigstens die Zeichen der Zeit erkannt.

Artikel erschienen am 14.06.2013 im «Der Zürcher Bote»